JOHN MILLER

Info
Selected Works
Exhibitions
    Egocentric Preserves, 2021
    Ansammeln, 2019
   Sex Appeal of the Inorganic, 2016
   Grotesque, 2010
   Something for Everyone, 2005
   Topographie für ein Museum
   (Ohne Wände), 2002
   No Place to Hang your Hat, 1999

John Miller
Egocentric Preserves

Opening: 2. July 2021, 6pm
July - September 2021

Text zur Ausstellung
John Miller – Interaktionen des Selbst im öffentlichen Raum

Das Leitmotiv der Ausstellung von John Miller mit neuen Werken in der Galerie Widauer ist das Verhältnis zwischen dem Selbst und seiner Umgebung. Wie definiert sich ein Ich im öffentlichen Raum, wie interagieren Raum und Individuum, wo sind die Grenzlinien zwischen dem Umgebungsraum des Ichs und dem realen architektonischen Raum? Wie verändert sich das Selbst in dieser Interaktion, im Diskurs mit Elementen der Umgebung? Wie definiert man Raum? Worin besteht die Rolle des Ichs in Bezug auf den öffentlichen Raum?

All diesen Fragen ging der kanadische Soziologe Erving Goffman nach. Der Titel zur Ausstellung greift eine Hauptidee Goffmans auf, nämlich die auch räumliche Abgrenzung des Selbst von anderen: Eines jener wie Goffman es formuliert „Territorien des Selbst“ bezieht sich auf egocentric preserves – das Bewahren des eigenen Selbst, wenn man sich im Raum bewegt. Diese diffizile Beziehung zwischen dem Selbst und den anderen spielt in der Soziologie eine grundlegende Rolle. So definiert auch John Miller sein überdimensionales I (Ich) im Sinne Goffmans als „A one-person possession“ (ein Ein-Personen Besitz). Auf dem Foto erscheint das Ich riesig, auch im Vergleich zu den vorbeigehenden Menschen. Jener individuelle, persönliche Raum ist veränderlich, er kann sich seiner Umgebung anpassen.

In seinen Fotografien interagiert John Miller in situativen Bezügen realer Raumordnungen, einem Park, einer Straße, einer Baustelle, einer Passage, deren Semantik er mit wenigen strukturellen Eingriffen verändert. Die semiotische Subtilität seiner Werke zeigt sich an der Art des Interagierens mit der Wirklichkeit. So wird die Hausfassade zu einem participation unit, zu einer Partizipationseinheit, d.h. der Mensch, das Individuum, ist in der Lage, seinen persönlichen Raum zu finden und aber zugleich auch zu interagieren. Bei Miller korrespondiert dies mit der Überlagerung zwischen der Hausfassade und der seriellen Struktur von zwölf gleich großen Quadraten. Das Interagieren meint hier semantische Interferenz zwischen Architektur und Struktur, zwischen den Fenstern, dem Putz, den Radständern, der kleinen Grünfläche und der artifiziellen Konstruktion der geometrischen Formen durch den Künstler.

Für Millers künstlerischen Ansatz wesentlich war Goffman’s Buch Relations in Public (Das Individuum im öffentlichen Austausch), bei dem die Wechselwirkung zwischen sozialen Beziehungen und dem öffentlichen Leben eine wesentliche Rolle spielt. Dies spiegelt sich auf besonders interessante Weise in dem Foto Socially determined variability wider. Es gibt Verletzungen jenes persönlichen Territoriums des Einzelnen, welche zumeist von äußeren Bedingungen definiert werden. Auf dem Foto ist eine Baustelle zu sehen, Gerüste, Kräne, welche die individuelle Sphäre des Einzelnen, seinen territorialen Selbstbehauptungsort, beeinflussen, verändern, ja auch neu definieren. Dem setzt John Miller ein inhaltliches NO entgegen. Dieser Schriftzug steht für das Selbst, das sich gegenüber den äußeren Bedingungen zu behaupten versucht. Das NO ist Grenze, Trennschärfe, zwischen dem Ich und dem äußeren Raum. In der Fotografie The Body‘s Sheath mit einer ringartigen Kreisform, die sich vor einer Durchfahrt aufbaut“, auf der ein Schild auf ein Café verweist, greift Miller die Idee Goffmans auf, dass die Hülle alles Sichtbare impliziert, das der Körper dem Außenraum entgegen setzt. Die Haut, die Kleidung etc. sind weitere Markierungslinien des Territoriums des Selbst hinsichtlich seiner Umgebung. Und so positioniert der Künstler hier gegenüber der Durchfahrt (ein transitorischer Ort), und dem Café (ein schriftlicher Verweis auf eine räumliche Funktionalität) die Idee eines präsenten Körpers, der sich in seiner Inhaltlichkeit und Form deutlich von den genannten Objekten absetzt und doch zugleich auch mit ihnen interagiert.

In zwei skulpturalen Werken wirft John Miller einen melancholisch kritischen Blick auf unsere Welt. In der Skulptur Sunken world wird die Vorstellung einer versunkenen Welt visualisiert durch das kompakte, als scheinbares Impasto realisiertes Fundament unter einem Spiegelquader, wobei die Form insgesamt einen Kubus bildet. Man sieht die untergangene Welt und doch lastet eine kompakte Fläche auf ihr, in der wir uns selbst erblicken. Gleichsam das Gegenstück ist der Kubus Another Land, auch dies ein durchaus politischer Begriff, bei dem auf einem Spiegelkubus ein brauner, kompakter Quader liegt. In seinen Werken thematisiert John Miller auf subtile, behutsame Weise die Durchdringung zwischen Individuum und öffentlichem Raum, es geht um ein feines Ausloten jenes fragilen Gleichgewichts zwischen persönlichem Freiraum und Interagieren mit anderen Kontexten, Bedingungen, Räumen. So wird sein Kosmos zu einer Suche nach unserer Identität, die wir in Beziehungen zu anderen, zur Außenwelt finden können.

Gaby Gappmayr 2021