Hubert Kiecol
Luxor
Opening: 18. September 2020, 5pm
September - Oktober 2020

Text zur Ausstellung
Hubert Kiecol – Entrücktheit des Gegenständlichen

Das künstlerische Konzept Hubert Kiecols basiert auf der selbstverständlichen Präsenz klarer Formen und elementarer Materialien wie Beton, Stahl oder Holz. Betritt man die Galerie Widauer, so sieht man sich inmitten eines auf den ersten Blick stillen Universums skulpturaler Formen. Es ist eine minimalistische Farbwelt aus schwarzem Stahl, purem Beton und hellem Holz. Der Künstler schafft Konstellationen und Raumsituationen, allein durch die Positionierung der Werke im Galerieraum. So erheben sich etwa auf einem länglichen Betonsockel Stahlstäbe in geometrisch vertikaler Struktur mit zwei jeweils parallelen, horizontalen Elementen. Titel dieses Werkes von 2009 ist „Schwelle“. Thematisiert werden hier Form und Materialien jenseits eines konkreten situativen oder funktionalen Kontexts. Der Begriff Schwelle, der im Althochdeutschen tragender Balken bedeutete, spiegelt wider, was in der Skulptur selbst sichtbar wird: Die Gegensätzlichkeit der Materialien, ihre Genealogie und unterschiedliche Ästhetik sowie die formale Interferenz sind bestimmende Elemente dieses Werkes. Kategoriale Bestimmungen wie Horizontalität, Vertikalität, Kompaktheit und Transparenz sind die wesentlichen Aspekte dieser in sich ruhenden und zugleich sich dem Raum öffnenden Skulptur. Diese Offenheit vermeintlich funktionaler Formen wird auch an dem Treppenelement mit Holz sichtbar. Die Treppe, hier präsent als dynamisch sich windende Stufen, führt ins Leere, oder vielmehr in den Raum selbst. Der Titel Willkommen erscheint als ferne Reminiszenz an die ursprüngliche architektonische Funktion einer Treppe. Man tritt ein, man steigt ein paar Stufen, um wohin zu gelangen.

Doch Kiecol macht auf zwingend einfache Weise deutlich, dass die Schönheit und zugleich das Geheimnis in der reinen Präsenz der Form liegt und nicht etwa in einem narrativen Kontext. Und so ist auch das kleine Stück Holz als Träger, ja Stütze der Treppe zu verstehen. Der Beton, jenes Gemisch aus Zement, Wasser und Gesteinskörnungen, ermöglicht durch seine opake Struktur und die ihm eigene neutrale Farbigkeit, dass sich die objekthaften Formen wie die Treppe, die Träger oder die schachtelartigen Quader einer konkreten Inhaltlichkeit entziehen. Die Objekte erscheinen als entrückte geometrische Gebilde, zurückgeworfen auf ihre eigene Wirklichkeit. Kiecols Skulpturen erinnern an Gegenstände oder Objekte des Alltags, aber sie entziehen sich zugleich jeder funktionalen Zuordnung. Jenes Zurückgeworfen-Sein auf das Ur-Objekthafte kennzeichnet auch Kiecols andere Werke in der Ausstellung, wie seine an architektonische Skizzen erinnernden Kohlezeichnungen oder die Schwarz-Weiß Fotografie (1978/2000) Häuser in der Umgebung von Luxor. Auch wenn eine Fotografie vermeintlich die Abbildung der Wirklichkeit ist, so wird diese Wirklichkeit bei Kiecol zu etwas Elementarem, ja Existenziellem. Plötzlich sind die Beschaffenheit des Bodens vor den Häusern, die einfachen Fenster und die Gesamtform der Häuser Zeugen einer fundamentalen Einfachheit und Schönheit des Realen.
Gaby Gappmayr 2020