Anna Jermolaewa
Opening: 29.June 2018, 7pm
June - August 2018

Text zur Ausstellung

Leninopad
Ein gefallenes Lenindenkmal aus dem kleinen ukrainischen Dorf Kaschperovka in der Provinz Zhitomer  nimmt in Anna Jermolaewas Einzelausstellung die Mitte des Galerieraums ein. Die Künstlerin fand die demolierte Skulptur in der Besenkammer des Rathauses des kleinen Dorfes, wo diese, ein paar Monate zuvor von Unbekannten abgerissen, noch aufbewahrt worden war. Im Zuge eines neuen „Dekommunisierungs-Gesetzes“ in der Ukraine, das im Frühjahr 2015 verabschiedet wurde, werden nun aber diese Leninstatuen, sowie alle anderen Symboliken der UdSSR, Zug um Zug abgetragen. Anna Jermolaewa fuhr im Sommer eine Strecke von 2000 km durch die Ukraine, um in größeren und kleineren Städten diese systematischen Demontage der Lenindenkmälern dokumentieren. Im Kontext der jüngsten politischen Ereignisse in der Ukraine spiegelt sich in der relativ nüchternen fotografischen Dokumentation die politische Brisanz dieser Aktion wieder. Dabei ist das Phänomen, dass Symboliken im Zuge von politischen Umstürzen und Verschiebungen ausgelöscht werden, sicherlich genau so alt, wie der Wettstreit um politische Vormachtstellungen an sich. Jermolaewas Dokumentationen zeigen dabei den fragilen Moment der Transformation, der Leerstelle und des Provisoriums auf, der in der Regel nicht dokumentiert wird. So wird es weiterhin Bilder dieser unzähligen Lenindenkmäler in Form von Fotografien, Grafiken und Postkarten geben, genau, wie es zukünftig auch wieder Bilder der neuen, noch zu bauenden Denkmäler geben wird, die auf den alten Sockeln aufgestellt werden. Neben einer realpolitischen Diskussion, werfen Jermolaewas Arbeiten auch die Fragen um das Verhältnis zwischen Sockel und Skulptur, zwischen Individuum und Masse und die Rolle der Kunst als Instrument politischer Repräsentation auf. Während der Reise durch die Ukraine führte die Künstlerin mit Stadt- und Dorfbewohnern Interviews über die jüngsten Demolierungen der Lenindenkmäler. Das daraus entstandene Video versucht urteilsfrei verschiedene Einstellungen zu Wort kommen zu lassen und zeigt so auch hier den derzeit sehr offenen Diskurs zu dieser Form des Ikonoklasmus auf.

Anna Ebner

The Penultimate (Roses)
Im Rahmen einer Ausstellung anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Oktoberrevolution in St. Petersburg präsentierte Jermolaewa eine Reihe von Blumensträußen: Nelken, Rosen, Orangenzweige, Zedern, Tulpen, Kornblumen, Lotusse, Safran-Krokusse und Jasmin (The Penultimate, 2017). Jede dieser Pflanzen steht für eine „Farbrevolution“. Angefangen mit dem von der Bevölkerung mit roten Nelken begrüßten Militärputsch gegen die Diktatur in Portugal 1974 repräsentieren positiv konnotierte Blumen und eine Identität stiftende Farbe seit dem Millennium meist friedlich verlaufende, vom Volk initiierte Regimewechsel. Der Nelkenrevolution folgte 2003 die Rosenrevolution in Georgien, 2004 die orangene Revolution in der Ukraine, 2005 die Zedernrevolution im Libanon und die Tulpenrevolution in Kirgisien sowie 2007 die (gescheiterte) Kornblumenrevolution in Weißrussland. Auch die Safranrevolution 2007 in Myanmar, die Jasminrevolution 2010 in Tunesien und die Lotusrevolution 2011 in Ägypten wurden von internationalen Medien als „Farbrevolutionen“ charakterisiert. Für Jermolaewa erinnern die stilllebenhaft präsentierten Blumen daran, was Machthaber wie Putin vielleicht am meisten fürchten: den vom Volk ausgehenden Umsturz. Gemeinsam mit Srđa Popovič, dem Gründer des Centre for Applied Nonviolent Action and Strategies (CANVAS), hat sie bereits 2012 einen Workshop über gewaltfreien Widerstand und die Rolle, die Kunst dabei spielen könnte, abgehalten. Auch in Zeiten des Internets braucht es schließlich mehr als einen Klick auf eine Petition, um etwas politisch zu bewirken. Erst die physische Präsenz vieler im Realraum schafft jene Bilder, die über ihre globale Zirkulation den Druck aufbauen, der überkommene Strukturen erodieren lässt.

Eistanz
Eine der schönsten Kindheitserinnerungen mit meiner Familie war es vor dem Fernseher zu sitzen und Eistanz zu schauen. So ging es den meisten in der Soweit Union aufgewachsenen Kindern. Eistanz war ganz groß geschrieben und die Eistanzsportler hatten dem gleichen Bekanntheitsgrad wie die Astronauten.
Ich war 6 Jahre alt als Ludmila Pachomova und Alexander Gorschkow, Legenden des russischen Eislaufsports, das Paar den Eistanz revolutioniert haben und in Innsbruck 1976 die goldene Medaille für Eistanz gewonnen haben. In jenem Jahr wurde Eistanz zum ersten Mal zur olympischen Disziplin erklärt.

Anna Jermolaewa