ALEXANDER WOLFF

Info
Selected Works
Exhibitions
   accro ache, 2021
   day cracks and night shadows, 2014
   Gorkiewicz Wolff, 2007
   Dekoration des Funktionalismus – Dekor der Funktion, 2004

Alexander Wolff
accro ache
Opening: 9. April 2021, 12 pm - 6pm
April - June 2021

Text zur Ausstellung
Alexander Wolff

Alexander Wolff, der aus dieser produktiven, leicht dadaistischen, Frankfurter Szene kommt, in der in offensichtlicher Ermangelung einer die Städelschule umgebenden Stadt – so stellt es sich jedenfalls dem Außenblick dar – alles immer schon von den dort Studierenden selbst hergestellt wurde – Clubs, Ausstellungsräume, ja auch Köche kommen von dort – eröffnete auch nach seinem Umzug nach Wien sofort einen Raum, publizierte eine Zeitschrift, gründete eine Band, tat alles sozusagen gleichzeitig und immer, sodass ich zunächst erstaunt war, als er mir eines Tages im zufälligerweise geteilten Flugzeug (einstweilen waren wir beide nach Berlin gezogen) erzählte, dass er die uns beide betreffende Verschiebung des Flugs um einige Stunden, genützt hätte, um ein Bild zu malen. Damals handelte es sich, wie ich erfuhr, um eines aus einer Serie von Bildern auf seinen Handtüchern, deren jeweilige Gestaltung zum Ausgangspunkt wurde. Erstaunt war ich, weil seine allgemeine Produktivität – ich lernte ihn zum Beispiel beim Staubsaugen kennen als ich mir seinen Ausstellungsraum ansehen wollte – eine eigene, so ins Viereck gefasste, arbeitsförmige Tätigkeit wie das Malen auszuschließen schien. In der Vorbereitung zur Ausstellung in der Innsbrucker Galerie Widauer besuchte ich ihn – und zwischen diesen Sätzen sind nun mehr als zehn Jahre vergangen – das erste Mal in seinem Atelier. Ich kam eine halbe Stunde zu früh, die er sonst genützt hätte, um noch eine letzte untere Ecke des Bilds, an dem er eben arbeitete, zu Ende zu malen. So klappte er sozusagen alles wieder ohne Ungeduld ein (also lüften, Pinsel reinigen, Gläschen schrauben mit einem letzten prüfenden Blick auf die Ecke) und verschob die Fertigstellung auf den nächsten Tag. Und es fiel mir jene Bemerkung eines Zeitgenossen von Manet in dessen Biografie ein, der das Schicksal der Maler des ausklingenden 19. Jahrhunderts beklagte, die eigentlich immer nur gemalt hatten. Tagein, tagaus und wenn sie mal auf Ferien fuhren, dann nur um dort, wo auch immer sie hinfuhren, sofort wieder die Staffelei aufzustellen und eigentlich nahtlos weiter zu machen. Denn es ist das Feld der handwerklichen, malenden, Produktion von Bildern, nicht das des skizzenhaften Entwerfens einer Idee, das man in seinem Studio betritt. Dieses Feld umfasst zunächst die generelle Idee, sozusagen den Grund um überhaupt eine neue malerische Reihe als Untersuchung zu beginnen, die Skizze, das Anlegen der jeweiligen Palette und die Ausführung. In dieser Arbeitsweise kommen die Bilder in Serien, sind sie das Sprechen in einer jeweils neuen Form, die zur Anwendung gebracht wird. In der Serie der nunmehrigen Ausstellung sind wir im Reich der Zeichen, die, gerade noch erkennbar sind, aber auch für Menschen, die chinesische Schriftzeichen – denn die Grundlage sind chinesische Schriftzeichen – lesen können, nicht mehr einfach zu entziffern sind. Aus ihnen entsteht eine Welt aus unterschiedlichen geometrischen Körpern, Hohlformen und Wölbungen, deren Verbindung nicht plastisch als die Erzeugung eines Gesamtkörpers gedacht ist, sondern deren Einzelräume sich aus einer optischen Sinnhaftigkeit, die an der europäischen Moderne geschult ist, zusammensetzt. Die Zeichen selbst müssen auch erst gefunden werden. Es liegt in ihnen ja ein hohes diskursives Risiko, denn jedes Zeichen heißt ja etwas und dass es etwas heißt oder heißen könnte – ganz sicher kann sich Alexander Wolff auch nicht sein – ist ja auch Teil des gesamten Spaßes. Los zu malen, ausgehend von der Annahme, dass da ein Du, ein Jetzt, Pizza oder Sex vermittelt werden. Umgekehrt zu diesem Risiko liegt im Ausgangsmaterial aber auch eine gewisse ruhige Sicherheit. Sind doch all dies Zeichen, die in jahrtausendalter Auseinandersetzung um das Verhältnis zwischen Strich und Raum eines Vierecks entworfen wurden. Um darin eine räumliche Harmonie zu entwickeln.

Hier wieder zu stören, könnte auch zutiefst respektlos sein, wie ein schlechter Witz über die Fremden, wäre da nicht auch so ein staunendes aus etwas ausgesperrt sein, selbst der Fremde zu sein, das ihn erfasst haben dürfte in der Zeit, als er sich in Taiwan aufhielt und vor diese Zeichen sozusagen hingeschmissen wurde. Das waren alles visuelle Barrieren, die, die sich im Zeichen jedem Analphabeten bieten, eine Schranke zwischen ihm und der Welt, die umschiffbar sein kann beim Du, beim Jetzt, bei der Pizza oder beim Sex, vor der man aber, je weiter man kommt, immer wieder steht  Und die sich in diesem Staunen umdreht in den anderen Witz, der nicht über, sondern mit dem Fremden gemacht wird, zum Beispiel indem man den nichtsahnenden,  nicht türkisch Sprechenden Linse deklinieren lässt (mercimek, also merciyorum, merciyoruz und so weiter).

In weiterer Folge Farbräume, das ist jeweils die Überleitung von dem einen Bild ins andere. Da, wo es eine malerische Neugier gibt: ob es funktioniert. Diese Farbräume kann man in Bildern von anderen finden und ausprobieren, das bildet sich als Vorstellung, oder sie findet sich in irgendeinem Zeichen im Außenraum. Alexander Wolff hat auch schon nur mit der Farbigkeit von Materialien, die sich im nächsten Umfeld fanden, Abrieb von Straße, Schmutz, Berliner Sand und Schwermetallverunreinigungen gemalt, auch große Wandgemälde. Und in Farbräumen der tschechischen Konstruktivisten gearbeitet. Hier spielen nun teilweise auch Nachträume asiatischer Städte hinein, dann wieder eigenartig versumpfte Grün, zumeist ins Weiß oder Schwarz verlaufend, das muss jeweils im individuellen Bild Sinn machen. Da trifft es als Behauptung auf das Außen.

Der Literaturhistoriker und Kritiker V.S. Pritchett empfahl der Generation, englischer Schriftsteller (zumeist Männer) nach dem 2. Weltkrieg, „to unself yourself", sich selbst zu „entselbsten", sich von einem introspektiven Innenblick zu befreien, sich für die Geschichten der Welt zu interessieren und sich selbst nicht als den emotionellen Maßstab der Welt zu sehen. Mir kommt vor, dass in Alexander Wolffs Malerei dieser Ratschlag wie ganz selbstverständlich verwirklicht ist. Ohne da zu sehr ins Biografische gehen zu wollen, sehe ich die Neugierde auf alles, was da außen ist, in vielen meiner Freund*innen, die, wie er, aus dem ehemaligen Ost-Deutschland kommen. Es ist eine maßstablose, manchmal fast buchstäbliche Neugierde, die immer auch ein wenig Glück ausstrahlt, über all das, was man da sehen kann, die Farben, die Städte, die Sprachen, die Kunst, das, was sich die anderen schon früher einmal ausgedacht haben, all die Gedanken und Lösungen und Antworten, die jemand gefunden hat, und all die Fragen.

Ariane Müller